Die Menschenwürde und Grundrechte

Menschenrechte

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Die Menschenwürde ist der Wert, der allen Menschen von Geburt an grundsätzlich zusteht. Aus dem Konzept der Menschenwürde lassen sich eine Reihe von menschlichen Grundrechten ableiten, wie sie in der 'Erklärung der Menschenrechte' sowie in den Verfassungen zahlreicher Staaten festgelegt sind. Das Konzept von universell gültigen Menschenrechten wird jedoch v.a. von totalitären Staaten wie China abgelehnt. Den Menschenrechten werden Menschenpflichten übergeordnet. In welchem Verhältnis stehen Menschenwürde bzw. Menschenrechte und Menschenpflichten?

Definition der Menschenwürde

Die Menschenwürde ist der Wert, der allen Menschen gleichermassen und unabhängig von ihren Unterscheidungsmerkmalen wie z.B. Herkunft, Rasse, Geschlecht, Alter oder Status zugeschrieben wird. Menschenwürde muss man sich nicht verdienen oder erarbeiten. Jeder besitzt sie von Geburt an. Der Mensch ist 'Zweck an sich', er darf nie bloss 'Mittel zum Zweck' sein (Immanuel Kant). Der Begriff kann wie folgt definiert werden:

Menschenwürde ist der unverlierbare, geistig-sittliche Wert eines jeden Menschen um seiner selbst willen. Mit ihr ist (...) der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Menschen verbunden, der es verbietet, den Menschen zum blossen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell infrage stellt. Nach Art. 1 Abs. 1 GG ist die Menschenwürde unantastbar; sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Damit ist in Abkehr von einem Primat des Staates die Würde des Menschen an die Spitze der Rechtsordnung gestellt. Unantastbarkeit bedeutet Unzulässigkeit jeglicher Missachtung der Menschenwürde.

Eine Missachtung ist in einer erniedrigenden Behandlung oder in der Behandlung des Menschen als blosses Objekt zu sehen (z. B. Folter). Die Garantie der Menschenwürde als tragendes Konstitutionsprinzip des GG reichert die nachfolgend geregelten Grundrechte an, die überwiegend in ihrem Kern Menschenwürde  enthalten. Ebenso basiert die Idee der Menschenrechte auf dem Gedanken der Menschenwürde. (...)

Quelle: Duden Recht A-Z. Fachlexikon für Studium, Ausbildung und Beruf. 3. Aufl. Berlin: Bibliographisches Institut 2015. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.

Menschliche Grundrechte – die Menschenwürde als Rechtsbegriff

Grundsatz

Aus dem Konzept der Menschenwürde ergeben sich grundlegende Menschenrechte:

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte wurde am 10. Dezember 1948 als eine rechtlich nicht bindende Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen in Paris verkündet. Als Grundsatz gilt

Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.

Die Menschenrechte stehen jedem Menschen allein aufgrund seines Menschseins zu. Zentrale Menschenrechte sind u.a.

Weitere Informationen siehe: » Erklärung der Menschenrechte (Wikipedia).

Menschliche Grundrechte in der Verfassung

Als Rechtsbegriff umfasst die Menschenwürde in der deutschsprachigen Rechtsphilosophie und Rechtstheorie bestimmte Grundrechte und Rechtsansprüche der Menschen. Diese sind in der Schweiz in der Bundesverfassung und in Deutschland im Grundgesetz geregelt. (siehe » Anhang).

Menschenwürde vs. Menschenpflichten

Im christlich geprägten Westen ist das Konzept der Menschenwürde unbestritten

Das Konzept der individuellen Menschenwürde und der daraus abgeleiteten universellen Menschenrechte ist, zumindest im christlich geprägten Westen, grundsätzlich unbestritten und kann in ethischen Fragestellungen als universell gültige Leitlinie dienen.

Nun ist es aber so, dass nur der kleinere Teil der Menschheit in einer von westlich-christlichen Werten geprägten Kultur lebt. Die Mehrheit der Menschheit lebt in anderen, oft mehr auf die Gemeinschaft ausgerichteten Wertekontexten, wo die individuellen Rechte nicht immer einen hohen Stellenwert haben. Viele dieser Staaten haben zwar die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ratifiziert, halten sie aber nicht ein bzw. interpretieren sie auf ihre Art.

Sind diese Wertesysteme deshalb nun als inferior zu betrachten und abzulehnen? Oder hat im Gegenteil unser Anspruch der universell gültigen Menschenrechte einen neo-kolonialistischen Anstrich?

Gemeinschaftskultur und Menschenpflichten

Aufgrund ihrer Herkunft wird das Konzept der universell gültigen individuellen Menschenwürde von einigen aussereuropäischen Kritikern gerne als ein an die westliche Kultur gebundenes Konzept angesehen, das im eigenen kulturellen Kontext nur bedingt relevant ist. In einzelnen asiatischen Ländern, wie z.B. in China, werden den Menschenrechten deshalb gerne Menschenpflichten entgegengestellt.

In einem totalitären Staat wie China kann das Konzept der Menschenpflichten so ausgelegt werden, dass alle Handlungen gegen die Interessen von Partei oder Regierung eine Verletzung der Menschenpflichten darstellt und entsprechende Sanktionen zur Folge hat. Liest man Berichte über die an Kritikern, Menschenrechtlern sowie ethnischen und religiösen Minderheiten in China verübten Menschenrechtsverbrechen, so wird ersichtlich, dass das Konzept der Menschenwürde und der daraus abgeleiteten menschlichen Grundrechte wenig Akzeptanz findet (» Herausforderung China). 

Das Beispiel China zeigt, dass das Konzept der Menschenpflichten in einem totalitären Kontext dazu missbraucht werden kann, Willkür und Machtmissbrauch zu rechtfertigen.

Diskussion

Das Konzept der Menschenpflichten ist nicht per se abzulehnen. Es erinnert uns daran, dass wir nicht nur Rechte sondern auch Pflichten haben, z.B. gegenüber der Umwelt, gegenüber unserer Familie, gegenüber sozial Schwächeren. Aus einer westlich-humanistischen Perspektive ist jedoch entscheidend, dass Menschenpflichten und Menschenrechte nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Die Menschenwürde muss unabhängig von der Erfüllung der Menschenpflichten bei alle Menschen gleichermassen respektiert werden. Das heisst nicht, dass es bei einer Verletzung von Menschenpflichten keine Sanktionsmöglichkeiten geben soll. Diese dürfen jedoch die Menschenwürde und den "Kerngehalt der Grundrechte" nicht verletzen (siehe Bundesverfassung Art. 36 Einschränkungen von Grundrechten).

Menschenwürde und ethische Dilemmasituationen

Beispiel 1: Kindsentführung

Muss die Menschenwürde auch bei Personen respektiert werden, die ihrerseits die Menschenwürde anderer Menschen nicht respektieren (z.B. Terroristen oder Schwerkriminelle)? Stellen Sie sich vor, Ihr Kind wurde entführt. Der Entführer wird gefunden und verhaftet, aber wo ist das Kind? Lebt es noch? Ist es in Lebensgefahr? Der Entführer ist nicht bereit, mit der Polizei zu kooperieren. Was kann die Polizei in einem solchen Fall tun?

Die Behörden sehen sich hier in einer ethischen Dilemmasituation, denn sie müssen die Menschenwürde von Opfer und Täter gegeneinander abwägen. Respektieren sie die Menschenwürde des Täters und geben sich mit dessen Schweigen zufrieden, setzen sie u.U. die Gesundheit oder gar das Leben und damit die Menschenwürde des Kindes aufs Spiel. So gesehen kommt man also nicht darum herum, die Menschenwürde des einen gegen den anderen abzuwägen. Wie weit dürfen die Behörden gehen, um den Täter dazu zu bringen, das Versteck mit dem Kind preiszugeben? Man würde es vermutlich erst mit beharrlichen Verhörmethoden und psychologischen Tricks versuchen, vielleicht dem Täter bei Kooperation eine kürzere Haftstrafe in Aussicht stellen. Aber was, wenn das alles nichts hilft?

Beispiel 2: Terrorzelle

Ein ähnliches Beispiel ist die Verhaftung eines Mitglieds einer Terrorzelle, die im Verdacht steht, einen blutigen Anschlag zu planen, bei dem möglichst viele Menschen getötet werden sollen. Wie weit dürfen die Behörden gehen, um einen Anschlag zu verhindern? Das Beispiel ist nicht aus der Luft gegriffen. Es gibt glaubhafte Indizien dafür, dass der US-Geheimdienst CIA im Nachgang zum Terroranschlag auf das World Trade Center in 2011 (9/11) in verschiedenen Ländern geheime Gefängnisse für echte und vermutlich auch vermeintliche Terroristen betrieb (und vielleicht immer noch betreibt), wo offenbar versucht wurde, die Häftlinge mit teilweise fragwürdigen Methoden (u.a. sog. "Waterboarding") zum Reden zu bringen. Auch hier muss die Menschenwürde von potenziellen Opfern und Tätern gegeneinander abgewogen werden. Aus ethischer Sicht dürften Methoden wie Waterboarding schwer zu rechtfertigen sein, zumindest aus der Perspektive einer deontologischen Ethik. Siehe dazu auch das Beispiel zum Flugzeugabschuss im Kapitel zur » deontologischen Ethik.

Diskussion

Das lässt uns etwas unbefriedigt zurück, denn intuitiv würde man das Leben eines entführten Kindes oder die potenziellen Opfer eines Terroranschlags höher gewichten als die Menschenwürde der (potenziellen) Täter. Aber wo liegt die Grenze? Wie weit darf der Staat gehen? Unter welchen Umständen und wie massiv  dürfen die Behörden in die Menschenwürde eines nicht rechtskräftig verurteilten Täters eingreifen?

Die Behörden sind gehalten, in Zusammenarbeit mit Fachleuten ethische Richtlinien zum Umgang mit solchen Ereignissen auszuarbeiten und für solche Fälle kurzfristig eine Notfallorganisation zusammenzustellen, analog den Care-Teams, die bei Katastrophen eingesetzt werden.

Anhang: Grundrechte in der Schweiz und Deutschland

Menschenwürde und menschliche Grundrechte in der Schweizerischen Bundesverfassung

Die » Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (Stand am 1. Januar 2020) legt u.a. die folgenden Grundrechte fest (die für den Zweck dieser Seiten getroffene Auswahl bedeutet nicht, dass die nicht dargestellten Grundrechte irrelevant wären):

Art. 7 Menschenwürde

Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen.

Art. 8 Rechtsgleichheit

1 Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

2 Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung.

3 Mann und Frau sind gleichberechtigt. Das Gesetz sorgt für ihre rechtliche und tatsächliche Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit. Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit.

4 Das Gesetz sieht Massnahmen zur Beseitigung von Benachteiligungen der Behinderten vor.

Art. 9 Schutz vor Willkür und Wahrung von Treu und Glauben

Jede Person hat Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden.

Art. 10 Recht auf Leben und auf persönliche Freiheit

1 Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist verboten.

2 Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit.

3 Folter und jede andere Art grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung sind verboten.

(...)

Art. 15 Glaubens- und Gewissensfreiheit

1 Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist gewährleistet.

2 Jede Person hat das Recht, ihre Religion und ihre weltanschauliche Überzeugung frei zu wählen und allein oder in Gemeinschaft mit anderen zu bekennen.

3 Jede Person hat das Recht, einer Religionsgemeinschaft beizutreten oder anzugehören und religiösem Unterricht zu folgen.

4 Niemand darf gezwungen werden, einer Religionsgemeinschaft beizutreten oder anzugehören, eine religiöse Handlung vorzunehmen oder religiösem Unterricht zu folgen.

Art. 16 Meinungs- und Informationsfreiheit

1 Die Meinungs- und Informationsfreiheit ist gewährleistet.

2 Jede Person hat das Recht, ihre Meinung frei zu bilden und sie ungehindert zu äussern und zu verbreiten.

3 Jede Person hat das Recht, Informationen frei zu empfangen, aus allgemein zugänglichen Quellen zu beschaffen und zu verbreiten.

Art. 17 Medienfreiheit

1 Die Freiheit von Presse, Radio und Fernsehen sowie anderer Formen der öffentlichen fernmeldetechnischen Verbreitung von Darbietungen und Informationen ist gewährleistet.

2 Zensur ist verboten.

3 Das Redaktionsgeheimnis ist gewährleistet.

(...)

Art. 22 Versammlungsfreiheit

1 Die Versammlungsfreiheit ist gewährleistet.

2 Jede Person hat das Recht, Versammlungen zu organisieren, an Versammlungen teilzunehmen oder Versammlungen fernzubleiben.

Art. 23 Vereinigungsfreiheit

1 Die Vereinigungsfreiheit ist gewährleistet.

2 Jede Person hat das Recht, Vereinigungen zu bilden, Vereinigungen beizutreten oder anzugehören und sich an den Tätigkeiten von Vereinigungen zu beteiligen.

3 Niemand darf gezwungen werden, einer Vereinigung beizutreten oder anzugehören.

(...)

Art. 26 Eigentumsgarantie

1 Das Eigentum ist gewährleistet.

2 Enteignungen und Eigentumsbeschränkungen, die einer Enteignung gleichkommen, werden voll entschädigt.

Art. 27 Wirtschaftsfreiheit

1 Die Wirtschaftsfreiheit ist gewährleistet.

2 Sie umfasst insbesondere die freie Wahl des Berufes sowie den freien Zugang zu einer privatwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit und deren freie Ausübung.

(...)

Art. 35 Verwirklichung der Grundrechte

1 Die Grundrechte müssen in der ganzen Rechtsordnung zur Geltung kommen.

2 Wer staatliche Aufgaben wahrnimmt, ist an die Grundrechte gebunden und verpflichtet, zu ihrer Verwirklichung beizutragen.

3 Die Behörden sorgen dafür, dass die Grundrechte, soweit sie sich dazu eignen, auch unter Privaten wirksam werden.

Art. 36 Einschränkungen von Grundrechten

1 Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Ausgenommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr.

2 Einschränkungen von Grundrechten müssen durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein.

3 Einschränkungen von Grundrechten müssen verhältnismässig sein.

4 Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbar.

Menschenwürde im Deutschen Grundgesetz

Im Deutschen Grundgesetz ist die Achtung der Menschenwürde durch den Staat und seine Vertreter in Art. 1 Abs. 1 GG festgeschrieben: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt."

Gemäss Artikel 79 Abs. 3 GG ist eine Änderung des Gehalts von Artikel 1 GG ausdrücklich verboten. Das bedeutet, dass das Prinzip der Menschenwürde dem Zugriff durch den verfassungsändernden Gesetzgeber entzogen ist und damit ewig gilt. Der Staat hat alles zu unternehmen, was die Menschenwürde schützt und gleichzeitig alles zu unterlassen, was die Menschenwürde beeinträchtigt.

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Version vom 11. April 2023

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